Das NFP darf nicht einfach die Probleme beschreiben, sondern muss Lösungen liefern
Einige Projekte des NFP 77 haben die Bereiche Justiz und Gesetzgebung im Fokus. Monique Cossali, Bundesamt für Justiz, schildert die Erwartungen der Praxis.
Einige Projekte des NFP 77 widmen sich Fragen aus dem Bereich der Justiz und der Gesetzgebung. Die Erwartungen der Praxis an die Forschung schildert Monique Cossali, Chefin des Fachbereichs Rechtsetzungsprojekte I im Bundesamt für Justiz.
Welches ist aus Sicht des Gesetzgebers das Hauptproblem bei der Digitalisierung?
Die fortschreitende Digitalisierung macht für die Verwaltung viele Anwendungen möglich – rein technisch. Aber gibt es für diese Anwendungen auch eine gesetzliche Grundlage? Dieses Legalitätsprinzip muss eingehalten werden, und gleichzeitig möchte man flexibel, kreativ und innovativ sein. Das ist ein Spannungsfeld.
Selbst auf der Seite des Gesetzgebers sind sich nicht alle Stellen in allen Punkten einig, wie eng oder vage Gesetze formuliert sein sollen, damit sie auch künftige technische Entwicklungen einschliessen.
Das ist die Sicht des Gesetzgebers. Wo sehen Sie die Herausforderung in Bezug auf die Bevölkerung?
Hier dreht sich alles um das Vertrauen. Das ist zentral. Das haben wir jüngst bei der Abstimmung über die elektronische Identitätskarte gesehen. Die Bevölkerung war misstrauisch, die Vorlage wurde abgelehnt.
Könnte es sein, dass eine Kluft besteht zwischen den Erwartungen der Behörden und jenen der Bevölkerung?
So hart würde ich das nicht ausdrücken. Aber die Behörden haben gelernt. Eben wurde die Revision des Datenschutzgesetzes verabschiedet. Damit will man das Vertrauen stärken, indem man Daten besser schützt. Aber auch hier gibt es selbst innerhalb der Bundesverwaltung unterschiedliche Haltungen. Wie viel Datenschutz ist nötig, und wie bleibt man bezüglich neuer technischer Entwicklungen trotzdem flexibel? Hier muss der Bundesrat ausbalancieren.
Reden wir über Digitalisierung von Gesetzgebung und Rechtsprechung. Wird künstliche Intelligenz künftig Juristen ersetzen?
Das ist eher Science-Fiction. Aber eine gewisse Entlastung könnte AI bestimmt bringen. Zum Beispiel in der Opferhilfe, insbesondere bei der Frage nach der Genugtuung. Dazu gibt es viele Tabellen, die auflisten, in welchen Fällen unter welchen Umständen ein Opfer welche Genugtuung erhalten hat. Heute müssen Menschen unzählige Fälle durchforsten, um eine Genugtuungssumme festzulegen. Wären die Daten entsprechend geordnet, könnte ein Algorithmus diese Arbeit erledigen. Selbst Steuererklärungen könnten von Maschinen gelesen und taxiert werden.
Ist das nicht heikel, wenn Computer juristische Verantwortung übernehmen.
Verantwortung übernehmen werden sie natürlich nicht. Die AI wird nur eine Vorauswahl vornehmen und Empfehlungen abgeben. Entscheiden tun immer Fachpersonen. Die Juristin oder der Jurist muss abwägen, ob in gewissen Fällen eine spezielle Situation vorliegt. Und wenn eine Software zum Beispiel einen Steuerbescheid erlässt, muss das transparent deklariert sein, so dass die Steuerzahlerin, der Steuerzahler eine Nachprüfung durch einen Menschen verlangen kann.
Sie erwarten also durch die Digitalisierung keine Quantensprünge bei Justiz und Gesetzgebung?
Nein, sie wird uns Routineaufgaben abnehmen, also ein Tool, das uns hilft, die Arbeit zeitsparender zu leisten. Dies vor allem bei unproblematischen Fällen.
Ob das dann neue Probleme und Ungleichbehandlung schafft, weiss ich nicht.
Was erwarten Sie vom NFP 77?
Man spricht immer recht allgemein über AI und zu selten von spezifischen Anwendungen. Noch mehr allgemeine Aussagen zu AI und deren Risiken brauchen wir also nicht.
Es gibt einige Projekte, die sich mit Fragen zum rechtlichen Rahmen, dem Vertrauen in die Cybersicherheit oder der Rolle von AI bei Gerichtsurteilen beschäftigen. Damit diese Forschung uns in der Praxis der Gesetzgebung nützen, dürfen sich die Resultate nicht darauf beschränken, die Probleme zu beschreiben. Wir wissen, dass auch künstliche Intelligenz zu Diskriminierung führen kann. Das ist allgemein bekannt. Ich will wissen, wie sich das verhindern lässt.
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