Gerichtsurteile im Spannungsfeld zwischen Transparenz und Privatsphäre
Das Projekt befasste sich mit der Anonymisierung von Gerichtsurteilen. Es zeigte die Praxis und den rechtlichen Rahmen, Stakeholder-Meinungen sowie Hintergründe auf und erarbeitete Richtlinien für Politik und Justiz.
Projektbeschrieb (abgeschlossenes Forschungsprojekt)
Das Forschungsprojekt untersuchte die Anonymisierung von Gerichtsurteilen interdisziplinär. Dazu gehörten vier Arbeitspakete: Das Arbeitspaket 1 mit juristischen Analysen, basierend auf den theoretischen Rahmen der klassischen juristischen Methoden und auf den Methoden der Rechtsvergleichung. Das Arbeitspaket 2 untersuchte die technischen Möglichkeiten der Anonymisierung und De-Anonymisierung auf der Grundlage der Methoden der Informatik, insbesondere der Methoden der Natural Language Processing (NLP). Das Arbeitspaket 3 hat die Integration der Meinung verschiedener Interessengruppen unter Verwendung klassischer Methoden der Sozial- und Verwaltungswissenschaften analysiert. Und das Arbeitspaket 4 führte zur Synthese und Umsetzung der Forschungsergebnisse.
Hintergrund
Das Justizsystem steht vor einer Herausforderung, die sich aus dem Widerspruch zwischen dem öffentlichen Interesse an Transparenz (insbesondere dem Recht auf Zugang zu Gerichtsurteilen) und dem Menschenrecht auf Privatsphäre (insbesondere dem Recht auf Vergessenwerden) ergibt. Dieser Antagonismus wirft grundlegende Fragen hinsichtlich des Zugangs zu Urteilen auf. Durch die Verknüpfung öffentlich verfügbarer Informationen im Internet können Data-Mining-Ansätze wie maschinelles Lernen es ermöglichen, die Parteien zu identifizieren und so bestimmte persönliche Informationen (verübte Straftaten, Scheidung, Erbansprüche, politisches Engagement etc.) auch in anonymisierter Form Einzelpersonen zuzuordnen.
Ziel
Ziel dieses Forschungsprojekts war es, geeignete Wege zu finden, wie Gerichte unter angemessener Wahrung des Rechts auf Privatsphäre Zugang zu Gerichtsdurteilen gewähren können. Im Ergebnis sollten Richtlinien für Politik und Justiz zur Anonymisierung von Urteilen entstehen.
Bedeutung
Das Projekt leistete Beiträge in zwei Schlüsselbereichen innerhalb des Natural Language Processings (NLP), die sich auf juristische Texte konzentrieren: Ressourcenkuration und detaillierte Modellanalyse. Für die Gerichtspraxis bringt das Projekt vertiefte Erkenntnisse und Richtlinien bezüglich der Anonymisierung von Gerichtsurteilen. Wir gehen davon aus, dass mit den erzielten Ergebnissen die Forschung auf dem Gebiet der Anonymisierung von Gerichtsentscheiden derzeit erschöpfend behandelt ist.
Ergebnisse
Drei Hauptbotschaften
- Die Gerichte in der Schweiz haben zumindest auf Bundesebene weitreichende Vorschriften zur Veröffentlichung und Anonymisierung von Gerichtsurteilen.
- Das Risiko einer De-Anonymisierung ist derzeit eher gering.
- Die Vorschriften zur Anonymisierung und die Anonymisierungspraxis müssen aufgrund unterschiedlicher Erkenntnisse zu den Anonymisierungsanforderungen und der laufenden technischen Entwicklungen regelmässig überprüft werden.
Originaltitel
Open Justice versus Privacy