«Empfohlene» Nachrichten: Was passiert, wenn Algorithmen über unsere News-Inhalte entscheiden?
Ein Forschungsteam zeigt, wie Medien Nachrichtenempfehlungssystemen einsetzen – und was die Nutzer:innen davon halten.
Nachrichtenempfehlungssysteme kommen auf Social Media und Online-Nachrichtenportalen zum Einsatz und bestimmen, welche Inhalte den Nutzer:innen angezeigt werden. Das Forschungsteam untersuchte, wie sich solche Empfehlungssysteme auf die journalistische Nachrichtenproduktion, die öffentliche Wahrnehmung des Journalismus und das Vertrauen in die journalistische Arbeit auswirken.
Das Projekt umfasste drei Studien: Einerseits wurden Personen interviewt, die im Nachrichtenbusiness arbeiten. Das Ziel war es, zu erfahren, wie sie solche Nachrichtenempfehlungssysteme einsetzen und wie sich dies auf die Produktion und Verbreitung von News auswirkt (Angebots-Seite). Andererseits führten die Forschenden eine Umfrage unter 5000 Nutzenden in fünf Ländern durch, um mehr über die Wahrnehmung von solchen Systemen zu erfahren (Nutzer:innen-Seite). Und schliesslich entwickelte das Forschungsteam unter der Leitung von Frank Esser (Universität Zürich) ein Modell zur optimalen Gestaltung und Nutzung von Nachrichtenempfehlungssystemen.
Die wichtigsten Erkenntnisse
Von 13 befragten Medienunternehmen verwenden die meisten Nachrichtenempfehlungsysteme – jedoch noch im Experimentierstadium. Viele der befragten News-Expert:innen befürchten, dass solche Systeme die redaktionelle Kontrolle untergraben – was zu Filterblasen und zum Verlust einer gemeinsamen Diskusionsbasis führen könnte.
Die Nutzer:innen hingegen stehen der Technologie im Allgemeinen positiv gegenüber. Besonders in den Bereichen Sport, Unterhaltung und Promi-News begrüssen sie auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Inhalte. Geht es jedoch um Politik oder lokale Nachrichten, bevorzugen sie eine journalistische Kuratierung.
Gleichzeitig vertrauen die Befragten den Medienunternehmen jedoch weniger, wenn sie glauben, dass diese besonders stark auf personalisierte Nachrichtenempfehlungssysteme setzen. Nutzer:innen sind im Allgemeinen skeptisch gegenüber Technologien, die auf KI und Algorithmen basieren.
Viele Nutzer:innen glauben ausserdem, dass sämtliche Medienunternehmen in der Schweiz bereits jetzt solche Systeme im Einsatz haben – dies stimmt aber nicht, da nur einige Medienunternehmen Nachrichtenempfehlungssysteme nutzen und dies nach wie vor experimentell. Laut den Forschenden könnte diese Fehleinschätzung darauf hinweisen, dass Nutzer:innen Personalisierung in der Werbung und personalisierte Nachrichtenempfehlungen nicht klar unterscheiden können und letztere eher mit kommerziellen Medienanbietern verbinden.
Bedeutung für Politik und Praxis
Um das Vertrauen in den Journalismus zu bewahren, ist es zentral, Personalisierung mit redaktioneller Integrität in Einklang zu bringen. Entscheidende Faktoren, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in Medienschaffende zu erhalten, sind zum Beispiel die Einhaltung journalistischer Standards sowie Transparenz. Um Missverständnisse zu vermeiden, empfehlt das Forschungsteam, sowohl Medienschaffende als auch die breite Öffentlichkeit besser über den Einsatz von Algorithmen und KI zu informieren.
Die Studie zeigt: Algorithmen können helfen, Inhalte gezielter zu verbreiten, bergen aber auch Risiken. Deshalb braucht es einen verantwortungsvollen Umgang mit solchen Systemen. Nur so kommt die Digitalisierung der Gesellschaft zugute und können gesellschaftliche Werte gewahrt werden.
Drei Hauptbotschaften
- Obwohl einige Medien Empfehlungssysteme auf ihren Websites implementiert haben, bleibt ihr Einsatz experimentell und ist durch verschiedene Herausforderungen und Kompromisse gekennzeichnet. Dazu gehören die Abwägung zwischen technologischem Fortschritt und redaktioneller Integrität, die Erfüllung von Nutzererwartungen bei gleichzeitiger Wahrung der journalistischen Verantwortung und der Umgang mit dem wachsenden Einfluss von Tech-Akteuren in Redaktionen.
- Für eine bessere Akzeptanz von Nachrichtenempfehlungssystemen ist es zentral, diese Systeme in Einklang mit journalistischen Kriterien zu bringen, die Vorteile für die Nutzenden aktiv zu kommunizieren und Ängste vor Filter-Blasen und Datenmissbrauch zu entkräften.
- Mit Blick in die Zukunft zeigen sich Nutzer:innen weiterhin skeptisch gegenüber algorithmischen und KI-basierten Technologien. Sie vertrauen generativer KI ähnlich wenig wie News-Recommender-Systemen – was die Relevanz der Studienergebnisse auch für neue Technologien unterstreicht.
Wie die Forschenden methodisch genau vorgegangen sind und weitere Hintergründe zum Forschungsprojekt finden Sie auf der NFP 77-Projektwebseite:
Einen vertieften Einblick in die Ergebnisse der Befragungen erhalten Sie hier: