Vertrauen und Legitimation in der digitalen Demokratie
Online-Plattformen bieten neue Möglichkeiten gemeinsam politische Entscheidungen zu treffen. Ein Praxisbeispiel zeigt: Kommt dabei eine proportionale Abstimmungsmethode zum Zug, erhöht das die Legimität und das Vertrauen.
Projektbeschrieb
Demokratisch Abstimmen in Zeiten der digitalen Transformation: Dieses Projekt untersuchte verschiedene Methoden wie digital abgestimmt werden kann und die Vertrauen und Legimität erreichen. Eine ganz neue Methode, die der proportionalen Abstimmung, hat das Forschungsteam in Pionierarbeit in Aarau anhand eines Budgetprozesses konkret getestet: Aarauerinnen und Aarauer konnten Projekte einreichen, die sie in der Stadt gerne umgesetzt hätten. Nach einer Machbarkeitsüberprüfung stimmt die Bevölkerung digital über diese Projekte ab. Jene Projekte mit den meisten Stimmen wurden im Rahmen eines zur Verfügung gestellten Budgets umgesetzt. Vor und nach der sogenannten Feldphase im ersten Halbjahr 2023, in der das Participatory Budgeting stattfand, wurden die Teilnehmenden befragt. Das Projektteam untersuchte, wie sich der Prozess und die Stimmabgabe über die Online-Plattform auf das Vertrauen und die Legitimität sowie die Fähigkeit der Nutzerinnen und Nutzer auswirkte.
Hintergrund
Um die heutigen komplexen, dynamischen und voneinander abhängigen Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir eine belastbare Gesellschaft – zum Beispiel eine, die auf kollektiver Intelligenz und Ko-Evolution basiert. Eine Beteiligung von verschiedenen Perspektiven kann ein Mittel sein, um zu legitimen und vertrauenswürdigen politischen Entscheidungen zu gelangen. Dies ist in Übereinstimmung mit der aktuellen Demokratietheorie, die den Einbezug aller Bürgerinnen und Bürger hervorhebt.
Ziel
Das Projektteam erprobte verschiedene Abstimmungsmethoden zur politischen Entscheidungsfindung und untersuchte, wie sich diese auf Fairness, Legitimität und Vertrauen auswirken. Aufgrund der neu möglichen digitalen Stimmabgabe und -berechnung eröffnen sich neue Möglichkeiten. Ziel war es diese auszuloten.
Bedeutung
Das Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung demokratischer Entscheidungsverfahren im digitalen Zeitalter, wie auch zur fairen Verteilung von Ressourcen. Es zeigt, wie neue Abstimmungsmethoden – insbesondere proportionale Verfahren – die wahrgenommene Legitimität und das Vertrauen stärken können. Die praktische Umsetzung im partizipativen Budgetprozess der Stadt Aarau verdeutlicht zudem, wie Forschung und Gemeinwesen konkret voneinander profitieren.
Ergebnisse
Das Projektteam konnte zeigen, dass ein neues (proportionales) Abstimmungsverfahren als legitimer wahrgenommen wird als traditionelle (mehrheitsbasierte) Verfahren. Neben der theoretischen Analyse lieferten die Forschenden auch den praktischen Beweis: In der Stadt Aarau konnte die Bevölkerung digital über 33 verschiedene Projekte abstimmen konnte, von denen 17 ausgewählt und bis Ende 2024 realisiert wurden. Dass viele Aarauer Bürger:innen sich eine Fortsetzung des Projekts wünschten, zeugt vom Erfolg dieser digitalen Entscheidungsfindungsmethode und dass ein Budgetprozess ein wirksames Mittel sein kann Bürger:innen in innovative Politikgestaltung mit einzubeziehen.
Drei Hauptbotschaften:
1. Legitimität hat mehrere Dimensionen
Ob ein politischer Entscheid als legitim empfunden wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Ob man mitbestimmen kann (Input), wie fair der Prozess ist (Throughput) und wie zufrieden man mit dem Ergebnis ist (Output). Bei traditionellen Abstimmungen werden diese Aspekte oft gemeinsam wahrgenommen. Bei neuen Formaten, wie in diesem Beispiel dem partizipativen Budgetprozess, wurden sie getrennt beurteilt – die Menschen überlegten aktiver, ob der Ablauf und das Ergebnis fair waren. Besonders wichtig ist dabei die Qualität des Verfahrens. Allerdings kann selbst ein fairer Prozess unzufriedenstellende Ergebnisse nicht vollständig kompensieren, was die komplexe Wechselwirkung der Legitimitätsdimensionen verdeutlicht.
2. Proportionale Abstimmungen werden als gerechter empfunden
Wenn Menschen ihre Stimme auf mehrere Projekte verteilen können und die Auswertung nach einem proportionalen Verfahren erfolgt, fühlen sie sich besser vertreten, empfinden den Prozess als fairer und sind zufriedener mit dem Ergebnis – im Vergleich zu klassischen Mehrheitsverfahren. Proportionale Abstimmungen können daher die Legitimität auf allen Ebenen stärken.
3. Abstimmungen sollten zur Situation passen
Wenn Abstimmungsmethoden an den konkreten Entscheidungsfall angepasst werden, können sie gerechter, inklusiver und glaubwürdiger sein. Das Projekt zeigt: Besonders in schwierigen oder vielfältigen Situationen helfen partizipative Verfahren. Digitale Tools bieten neue Möglichkeiten, solche Abstimmungen umzusetzen – aber es gibt auch Hürden, etwa beim Zugang. Damit solche Methoden auch landesweit funktionieren, braucht es noch mehr Forschung. Anwendungsfelder sind auch andere Entscheidungen betreffend der Verteilung von Geldern oder Ressourcen.
Originaltitel
Decision-making process supported by a participatory platform: Consequences on trust, on legitimacy of the political decision, and user skills