Digitale Transformation und Arbeitsmarkt: Frauen laufen Gefahr, in Rückstand zu geraten

Die Digitalisierung verändert unter anderem den Einstellungsprozess in Firmen.

Die digitale Transformation verändert den Arbeitsmarkt – aber nicht zum Vorteil aller. Eine Studie zeigt, dass Frauen weniger in digitale Kompetenzen investieren und somit die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern wächst.

Welche Auswirkungen hat die digitale Transformation auf die Schweizer Wirtschaft und den Arbeitsmarkt? Das NFP 77-Forschungsprojekt unter der Leitung von Conny Wunsch (Universität Basel) zeigt mittels Umfragen bei Unternehmen und Stellensuchenden, wie teifgreifend der digitale Wandel Arbeitsverhältnisse, Erwartungen an Kompetenzen der Mitarbeitenden, sowie Karrieren beeinflusst. Das Projekt untersuchte, wie gut Arbeitsmarkt-Akteure auf die digitale Transformation vorbereitet sind – und welche Gruppen besonders unter Druck sind. Das Fazit: Frauen und ältere Arbeitssuchende laufen Gefahr, im Zuge der digitalen Transformation in Rückstand gegenüber Männern und jüngeren Personen zu geraten.

Die wichtigsten Erkenntnisse

Es zeigt sich, dass weibliche Studierende deutlich weniger in digitale Fähigkeiten investieren als ihre männlichen Kollegen. Dies ist gemäss Studie auf drei Gründe zurückzuführen: Sie unterschätzen den Nutzen von sowie die Anforderungen an digitale Kompetenzen und meiden Jobs, in denen solche Kompetenzen besonders gefragt sind.

Auch bei Stellensuchenden tun sich laut dem Forschungsteam Kompetenzlücken auf – insbesondere bei weiblichen und älteren Personen. Sie schätzen ihre digitalen Fähigkeiten oft zu gering ein, verfügen häufiger über Kompetenzlücken und bewerben sich kaum auf Stellen mit Anforderungen, die sie nicht gänzlich erfüllen. Auch auf Stellen, die weniger gut bezahlt sind, bewerben sie sich weniger. Dies schmälert ihre Chancen, im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen.

Auf Unternehmensseite zeigen sich ebenfalls Auswirkungen der digitalen Transformation: Unternehmen – insbesondere solche, die digitalen Innovationen offen gegenüberstehen – setzen vermehrt auf Leistungsanreize. Gleichzeitig führen Analyse-Tools im HR-Bereich dazu, dass Entscheidungsprozesse dezentralisiert werden. Dadurch erhalten Mitarbeitende mehr Verantwortung.

Bedeutung für Politik und Praxis

Die Digitalisierung krempelt den Arbeitsmarkt um und stellt sowohl Unternehmen als auch Arbeitnehmende vor neue Herausforderungen. Wer im von der Digitalisierung veränderten Arbeitsmarkt bestehen will, muss flexibel sein, in digitale Kompetenzen investieren und Anforderungen sowie eigene Fähigkeiten realistisch einschätzen. Die digitale Transformation bietet viele Chancen – aber nur, wenn die nötigen Kompetenzen aufgebaut werden können.

Zentrale Hindernisse dabei sind geschlechterspezifische Barrieren und fehlende Anpassungsbereitschaft, welche sich mit gezielten Massnahmen überwinden lassen. Das Forschungsteam zeigt verschiedene Wege auf, etwa indem Studierende über die Wichtigkeit digitaler Kompetenzen informiert werden oder Studiengänge dahingehend überprüft werden, ob sie auf die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt vorbereitet sind. Auch die gezielte Förderung von Risikogruppen (Frauen, ältere Stellensuchende) kann Hindernisse für den Zugang zum Arbeitsmarkt beseitigen, zum Beispiel durch Weiterbildungen im digitalen Bereich.

Drei Hauptbotschaften

  1. Die digitale Transformation geht mit einschneidenden Veränderungen betreffend Beschäftigungsverhältnissen, hierarchischen Strukturen und Organisationsarchitektur einher. Digitale Technologien ermöglichen eine bessere und kosteneffizientere Überwachung, was dazu führt, dass Unternehmen mehr Leistungsanreize für ihre Mitarbeitenden schaffen. Dabei nutzen technologiefreundliche Firmen häufiger solche Leistungsanreize als Firmen, die neuen Technologien skeptisch gegenüberstehen. Zudem bewirkt die Anwendung von HR-Analysetools eine Dezentralisierung der Entscheidungsprozesse, wodurch die Mitarbeitenden mehr Verantwortung erhalten. Zumindest ein Teil der Beschäftigten könnte deshalb von der digitalen Transformation profitieren.
  2. Es besteht die Gefahr, dass weibliche Studierende bei der digitalen Transformation in Rückstand geraten. Sie investieren deutlich weniger in den Erwerb digitaler Kompetenzen als Männer. Drei Ursachen sind für diese Geschlechterkluft beim Kompetenzerwerb verantwortlich: Erstens sind Studentinnen im Durchschnitt weniger stark der Meinung, dass sich digitale Kompetenzen auszahlen, zweitens unterschätzen sie das für relevante Stellen erforderliche Niveau an digitalen Kompetenzen und drittens haben sie eine stärkere Abneigung gegenüber Stellen, bei denen digitale Kompetenzen im Zentrum stehen. Es ist zentral, diese Hindernisse für Investitionen von Frauen in digitale Kompetenzen zu beseitigen, wenn eine zunehmende Geschlechterkluft auf dem Arbeitsmarkt verhindert werden soll.
  3. Ähnliche geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich unter Stellensuchenden: Weibliche Arbeitssuchende schätzen ihre digitalen Fähigkeiten systematisch schlechter ein als männliche, und es ist wahrscheinlicher, dass sie potenzielle Kompetenzlücken haben. Dasselbe gilt für ältere Arbeitssuchende im Vergleich zu jüngeren. Dies bestätigt die Befürchtung, dass Frauen und ältere Arbeitssuchende Risikogruppen in der digitalen Transformation sind. Überdies hat sich gezeigt, dass Arbeitssuchende relativ wenig offen sind für Stellen, die andere Kompetenzen erfordern als ihre bisherige Beschäftigung, selbst bei relativ grossen Kompetenzüberschneidungen. Wenig Bereitschaft besteht auch zur Annahme einer Stelle mit tieferem Lohn, insbesondere bei männlichen Arbeitssuchenden. Dieser Mangel an Flexibilität in Bezug auf Kompetenzen und Löhne ist ein potenzieller Risikofaktor im Anpassungsprozess an veränderte Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt, der sich sowohl kurz- als auch langfristig negativ auf den Erfolg von Stellensuchenden auswirken kann.

Wie die Forschenden methodisch genau vorgegangen sind und weitere Hintergründe zum Forschungsprojekt finden Sie auf der NFP 77-Projektwebseite:

Der Schweizer Arbeitsmarkt in der digitalen Transformation

Weitere Forschungsprojekte zum Thema «Digitale Transformation» im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes NFP 77 finden Sie hier:

Projektübersicht